Freitag, 22. August 2008

Lemminge


Schön, dass die Ferien vorbei sind. Die Autobahn lässt sich wieder gefahrloser nutzen. Die überladenen Familienkutschen auf der mittleren Spur mit den unbenutzten Rückspiegeln sind wieder verschwunden. Spon liefert neue Erkenntnisse über einen beliebten Aufenthaltsort unserer mobilen Zeit, den Stau. Obwohl bei einem Stau die Neigung besteht, sensationsheischend auf eine mögliche Unfallursache dem Stauende entgegen zu stehen, hat es sich doch herumgesprochen, dass Staus immer mehr aus dem Nichts heraus entstehen.

Aus dem Nichts? Nein, aus dem Gegenteil, aus dem Zuviel, dem Zuviel an Autos, die sich zur gleichen Zeit auf einem beschränkten Raum aufhalten. So lange es rollt, ist es gut. Aber da wir alle selbst das eigene Gaspedal betätigen, kommt es zu abweichendem Fahrverhalten. Der eine bremst, der hinter ihm Fahrende hängt dicht drauf und muss auch bremsen. Dessen Hintermensch auch und so fort. Rasch wird aus dem fließenden Verkehr ein stehender. Im weiteren verschiebt sich die Ursache von vorne - der Verursacher ist längst weg - nach hinten. Erst wenn der nachfolgende Verkehr nachlässt, kann sich der Stau auflösen.

Was nichts bringt, sagen Verkehrsforscher, ist die Flucht: Wer von der Autobahn abfährt, gerät auf kleinere Straßen und wird durch geringere Kapazitäten, Ampeln und Geschwindigkeitsbegrenzungen weiter ausgebremst. Wer taktiert und die Spur wechselt, bringt zwar seine Adrenalinproduktion (und die seiner ihn umgebenden Mitmenschen) auf Trab, nicht aber sein Auto. Im Gegenteil, aus den neuerlichen Spurwechseln resultieren weitere Bremsmanöver der Nachfolgenden mit der bekannten Konsequenz. Was bleibt, ist Ruhe und Spur bewahren. Wenn auch das Gefühl trüge, sprächen die Fakten eine andere Sprache: Wer Route und Spur beibehält, kommt statistisch gesehen schneller ans Ziel.

Ein gut gemeinter Typ ist in der Realität zum Scheitern verurteilt: Abstand zum Vorderwagen halten, damit man selbst nicht so schnell bremsen muss, wenn der bremst. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass der Versuch, einen vorgeschriebenen Abstand einzuhalten stets dazu führt, dass diese Lücke durch Spurwechsler schnell wieder geschlossen wird. Und das Bremsen kann weiter gehen.

Wir sollten uns nichts vormachen. Wir brauchen den Stau. Er zeigt uns, dass wir - im Stehen - in Bewegung sind, dass wir drängen, weiter zu kommen. An den anderen vorbei, nach vorne, ans Ziel. Und ans nächste Ziel. Das tun wir schon, seitdem wir aufrecht gehen können. Täten wir es nicht, wäre Europa heute noch unbesiedelt. Wir sehen uns im Stau.

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