Dienstag, 21. Oktober 2008

An der Nordseeküste

Pinguine

Die A3 hoch bis Bottrop, kurz auf die A2 und dann immer geradeaus nach Norden. Kaum eine Kurve, keine Steigung. Immer wieder überhole ich Autos, in denen die Fahrer am Steuer lesen. Große Gruppen von Windrädern. Durch die Grafschaft Bentheim, vorbei an Coesfeld, Lingen, Papenburg, vor Leer durch den Emstunnel, dann runter von der Autobahn, die Landstraße über Aurich hoch zur Küste, bis zum Deich, davor links abbiegen.

Kueste mit Windraedern2

Endstation Neßmersiel Hafen. Es ist wie ausgestorben. Das Gepäck in den Container stellen und den Autoschlüssel am Schalter abgeben. Der ist noch nicht geöffnet, zwei Männer schnacken auf Plattdeutsch. Der eine - Ostfriesen scheinen sämtlich große, freundliche Kerle zu sein - meint, er öffne, wann er Lust habe. Die Lässigkeit kann nur von dieser unglaublich flachen Landschaft herrühren, wo man - wie der Witz sagt - schon Mittwochs sieht, wer Sonntag zu Besuch kommt.

Nessmersiel kai

Der Bursche in der Bierwerbung behauptet auch, hier gebe es keine Hektik. Scheint zu stimmen, eine Umstellung für den Stadtmenschen. Aber die Landschaft beruhigt ungemein. Sie zieht mich in ihren Bann. Dieses Licht, diese Weite.

Ankunft der Faehre

Mit der Fähre geht es nach Baltrum. Die Fähre fährt nur, wenn genügend Wasser da ist, also wenn Flut ist. Obwohl die Fahrrinne ausgebuddelt ist. In der Regel fährt sie zweimal täglich. Auf Spiekeroog, wo es ähnlich zugeht, bringt ein eingewanderter Selfmademillionär die Insulaner in Wallung, weil er mit modernen Booten gezeitenunabhängig die Insel anfahren lässt. Auf Baltrum ist noch alles beim alten - zweimal täglich.

Watt vor Hafen

Baltrum ist wie Spiekeroog autofrei. Kein Auto weit und breit. Für die Gäste stehen Handwagen bereit, oder Pferdekutschen. Auch der Güterverkehr wird mit Pferdekutschen organisiert. Keine romantischen Kutschen aus dem 19. Jahrhundert, sondern moderne Transportwagen. Und schöne, kräftige Pferde.

Kutsche

Baltrum ist die kleinste dieser ostfriesischen Inseln. Ein Dorf in zwei Teilen, Westdorf und Ostdorf. In jedem Haus Fremdenzimmer. Hier leben fast 500 Insulaner. Der Auslauf ist begrenzt. Man trifft sich des öfteren. Wer hier Urlaub macht, entwickelt seinen Rhythmus. Morgens ins Dorf, mittags an den Strand, nachmittags ins Café Klüntje. Hier backen sie Kuchen, etwa aus Sanddorn, der in den Dünen wächst.

Sanddorn2

Der Kuchen schmeckt göttlich. Als ein Entgegenkommen an den Gast vom außerfriesischen Festland wird neben dem bitteren Friesentee auch Kaffee in den aktuellen Spielarten gereicht. Das Café befindet sich in einem der älteren Häuser der Insel, niedrige Decken und sehr gemütlich. Die Verwegeneren bleiben auf der Terrasse und dem Wind ausgesetzt. Dafür haben sie einen freien Blick auf den grandiosen, sich ständig ändernden Himmel.

Himmel


Nach Einnahme der obligatorischen kalorienreichen Nachmittagsnahrung treibt das schlechte Gewissen den Urlauber ins Naturschutzgebiet. Über die Salzwiesen in die Dünen, von dort aus an den Strand, diesen entlang zurück Richtung Westdorf.

Duene und Meer

Spätestens in den Dünen ist man wieder alleine mit sich und der Natur. Und erst recht am Strand, am östlichen Inselrand. Erst um die Strandzugänge bei Ost- und Westdorf herum ist man wieder im Getümmel.

Strand

Alles hat seine Ordnung. Hinweisschilder sortieren Hundebesitzer von Drachensteigern und diese von Badenden. Strandkörbe müssen gemietet werden und sind nach Gebrauch verschlossen. Jetzt, in dieser kühlen Jahreszeit, sind die wenigsten in Benutzung und so mancher steht unbesetzt offen herum. Wie schön, sich einfach in ihn hineinzusetzen und im Windschatten die Sonne und die Aussicht auf das Meer zu geniessen.

Strand mit Koerben

Frische Luft macht hungrig. Zum Glück gibt es auf Baltrum genügend Lokalitäten. Dank der klassischen Bildung aus den Asterix-Comics weiss man, dass dort, wo der Fisch vor der Haustür vorbeischwimmt, er nicht notwendiger Weise auf dem Tisch landet. Auf der Speisekarte ist jene andere Sorte Fischgericht illuster mit "Aus aller Welt" überschrieben. Ich ziehe die Nordseekrabben mit Rührei den vietnamesischen Garnelen vor. Und noch lieber sind mir Brathering, Bismark und Matjes - das friesische Sushi. Pils gegen den Durst - aber: nicht alles ist in Jeverhand.

Kirche und Inselglocke

Es könnte immer so weiter gehen. Morgens ins Westdorf, die Westspitze umrunden, dann an den Strand, zwischendurch auf einen Kaffee halten oder auf ein Bier einkehren. Nachmittags ins Klüntje, dann in die Dünen zur Ostspitze, zurück über den Strand, abends Fisch essen. Aber leider habe ich nur ein Wochenende zur Verfügung, und weil die Fähre nur zweimal fährt und der Heimweg weit ist, heißt es schon vormittags: runter von der Insel. Vorbei an der Sandbank vor der Nachbarinsel Norderney. Hier liegen Robben am Strand. Der Städter argwöhnt, man lege sie dort morgens hin und blase sie auf. Aber die wiederholten Urlauber behaupten, die Robben seien echt. Und tatsächlich bewegen sie sich manchmal ein wenig.

Robben

Das war's. Zurück auf dem Festland, die Zeit ist um. Dabei wäre es so gut gewesen, sich dem langsamen Takt der Insulaner anzupassen, ruhig und gelassen den Tag zu würdigen, sich an den ständigen Moinmoin-Gruß zu gewöhnen und Mittwochs schon zu sehen, wer Sonntags kommt. Statt dessen geht es zurück auf die Piste und bei Bottrop in den ersten Stau, der sich bis Wiesbaden nicht so richtig auflösen will. Ebenso wenig wie meine Beklemmung. Vielleicht sollte ich wieder hoch fahren, am besten am Mittwoch, damit sie wissen, dass ich am Sonntag da sein werde, am Strand und in den Dünen, im Klüntje und abends zum Hering essen.

Strand3

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